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Von Geisterjägern und anderen Emotiona­litäten

Seit 19 Jahren schleppe ich nun schon einen großen Umzugskarton durch alle Umzüge und lasse ihn in Kellerräumen verstauben. Und obwohl ich weiß, dass ich ihn niemals auspacken werde, so hänge ich doch sehr an diesen 15 Kilo Nostalgie.

Enthalten sind Videokassetten mit allen „Ghostbusters“- sowie „Zurück in die Zukunft“-Teilen, mein Tamagotchi, 2 Swatch-Uhren, eine Maxi-CD von Fettes Brot mit „Nordisch by nature“ und diverse andere Erinnerungen an diese tollen Sommer mit Perliepop-Eis, dem Geruch nach Freibad (ein Potpourri von Luftmatratze, Nivea-Sonnenmilch und Pommes), Karaoke-Shows mit Bürstenmikrophon... ich könnte stundenlang weiter aufzählen.

Manipulation par excellence

In Wirklichkeit war nicht alles besser in diesem „Früher“. In Wirklichkeit hat der aufgekratzte Mückenstich gebrannt und eine Woche Fernseh-Verbot war ziemlich doof. In Wirklichkeit war uns nach dem Perliepop-Eis und der Portion Pommes im Schwimmbad speiübel. Zudem haben die Eltern grundsätzlich massiv genervt und man konnte es kaum abwarten endlich erwachsen zu sein. Derartige Fakten verschweigt uns unser Hinterstübchen geflissentlich. Das menschliche Hirn spart Energie wo es kann.  Im Bewusstsein bleibt lediglich eine stark romantisierte Form der Erinnerung.

Diese Erinnerungen sind der Schlüssel zu Emotionalität und somit reines Gold in den Augen der Marketingfachleute. Sie nutzen diese ganz persönlichen Relikte, die wir immer wieder gerne heimsuchen, um Zugang zu uns zu finden. Manipulation, wenn man so will.

Nein – eine Kaufentscheidung ist das noch lange nicht. Doch wenn eine Marke als sympathisch empfunden wird, so hat sie immerhin schon einmal den Fuß in der Tür. Am Beispiel von Apple erkennt man ganz gut, was eine emotional aufgeladene Marke erreichen kann. Die Produkte haben einen weitaus emotionaleren Platz in unserem Leben, als nur auf dem Nachttisch oder in der Jackentasche.

Der Kloß im Hals

So kann es also durchaus sein, dass uns der Werbespot von Edeka mehr berührt, als die Liebesbekundung unseres Partners. Zumindest steckt uns dabei nicht jedes Mal ein Kloß im Hals vor Rührung. Krass eigentlich. Warum ist das so?

Mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es hierzu zig psychologische Studien, die versuchen dieses Phänomen zu erklären. Ich habe bisher keine Einzige zum Thema gelesen und kann somit nicht auf die XYZ-Studie verweisen. Doch irgendwie kann ich philosophieren und mir dann menschlich erklären, dass wohl eine Sehnsucht in jedem von uns angesprochen wird. Vielleicht die Sehnsucht nach der Zeit der Persönlichkeitsentfaltung.

Auch wenn wir teilweise noch gar nicht wussten wer wir sind, so haben wir es doch immer geahnt. Man durfte sich einfach ausprobieren, kennenlernen und so sein, wie man nun einmal war – mit all den Fehlern und Pickeln. Kindern und verwirrten Teenagern wird das halt zugestanden. Von Ihnen wird noch nicht viel erwartet, außer pünktlich um 23.30 Uhr zuhause und morgens um 8 Uhr in der Schule zu sein.

Die Sehnsucht nach Akzeptanz

Je mehr also die Umwelt den idealen Menschen erschafft (schlank, sportlich, gesund, humorvoll, intelligent und total lässig bei all dem), desto mehr fühlt sich der „normale“ Mensch zurückgesetzt und immer weniger akzeptiert.

Schon früher gab es diese Ideale. Doch besonders in den letzten 10 Jahren (als die Digitalisierung sich so richtig etabliert hat) wurde es allgegenwärtig. „10 kg in 1 Woche“, „Kokosöl, die neue Wunderwaffe gegen Hautalterung“, „Deshalb trennen sich so viele Paare“, „Achtsamkeit für guten Schlaf“, „Superfood Avocado... Persönlichkeitsoptimierungswahn wo man hinsieht und -hört. Man erfährt davon – selbst dann noch, wenn man es gar nicht wissen will.

Wen wundert es also, dass wir uns das „Früher“ heimlich bewahren wollen? Mit Batman-, Star Wars-, kitschigen Lovesongs-, Mückenstich-, Luftmatratzen-, Zeltlager-Erinnerungen. Es war immerhin die Zeit in der wir okay waren, so wie wir waren. Und so sorgt die Werbung weiterhin dafür, dass wir uns daran erinnern – so paradox es auch klingt.

Fotos: Mädchen laufen (maxpixel.com), Mixtape (Wikipedia, Urheber: Thegreenj), Eis (pexels.com, Urheber:unsplash), Gameboy (Wikipedia, Urheber: Boffy b), Ghostbusters-Cover (flickr.com, BagoGames), Barbie (flickr.com, Urheber:Freddycat1), Back to the Future 3 Cover (flickr.com, Urheber: Jinho Jung),Tamagotchi Display (flickr.com, Urheber: James Grant).

 

Wie jeder, so hüte auch ich meine schönen Erinnerungen wie einen Schatz. Begegnen mir Schlüsselreize die augenblicklich meine Neuronen feuern lassen, so fühle ich mich diesen Erlebnissen wieder unglaublich nah. Ich empfinde das als Geschenk und liebe daher all´ jene Schlüssel, die mich dorthin zurück führen, wie Düfte oder Musik. Es kann durchaus aber auch ein Produkt sein, welches mir eine kurze Zeitreise ermöglicht.